Männer

(geschrieben für einen besonderen Menschen)

 

 

Wasser! Soweit das Auge reichte, Wasser! Solaris, eine Welt ohne Festland. Menschen, die den Untergang der Kontinente vor 10.000 Jahren überlebt hatten konnten sich über die Jahrtausende an das Leben auf den Meeren anpassen. Sie errichteten riesige schwimmende Festungen, in denen sich der größte Teil ihres Lebens abspielte. Die Festungen waren so vereinzelt, dass sich ihre Bewohner unterschiedlich entwickelten.

Heute wurde der weite Horizont von einem kleinen Segel unterbrochen. Das Segel wuchs aus einem kleinen Einmann- Segler. Aus Walknochen mit Robbenhaut überzogen jagte das Boot über das Meer. Am Ruder stand eine junge Frau. Männer der Antike hätten bei ihrem Anblick das Atmen vergessen. Ach ja, Männer, genau das war das Problem mit dem sich Krista, die blonde Kriegerin am Ruder beschäftigte. Konzentriert beobachteten ihre blauen Augen die Wasseroberfläche. Ihre Gedanken wanderten jedoch immer wieder zurück zum Tag ihrer Abreise. „Mutter, warum muss ich gehen?“

„Weil du die Tochter der höchsten Priesterin bist. Und weil mit dem Tod deines Vaters der letzte Mann unserer Festung gestorben ist. Du bist die beste Kundschafterin, die wir haben. Wenn es dir nicht gelingt wenigstens einen Mann mit zu bringen,

wird unser Stamm aussterben. Alle unsere Hoffnungen ruhen jetzt allein auf deinen Schultern.“

„Ja, Mutter, ich werde nicht scheitern.“

In dem halben Jahr ihrer Reise hatte sie bisher noch keine anderen Menschen getroffen. Vor zwei Wochen hatte sie die Grenze zu den unbekannten Regionen überschritten. Niemals zuvor  war jemand aus ihrem Stamm so weit gesegelt.

„Ru, besorg uns etwas zu Essen.“

Sofort glitt der Querl ins Wasser. Hundeähnlich, mit Kiemen und Lunge ausgestattet war er ein idealer Fischjäger. Er brauchte keine zwei Minuten um den ersten großen Barsch ins Boot zu bringen.

Krista rann der Schweiß in kleinen Rinnsalen über die Schulterblätter. Ihre blauen Augen registrierten jede noch so kleine Bewegung des Wassers. Da war es wieder. Nur ein leichtes Kräuseln. Kristas Nackenhaare richteten sich auf. Sie war sich sicher, dass sie seit drei Tagen beobachtet wurde. Aber so sehr sie sich auch konzentrierte, sie konnte nichts erkennen. “Radumm!“ Ru war ins Boot gesprungen. Im Maul einen noch zappelnden vier Kilo Barsch. Das Mittagessen war gesichert. Krista kraulte ihrem Querl die glatte Haut. „Gut gemacht.“

Da sah sie es. Nur ganz kurz erkannte sie einen Schatten im Wasser vor ihrem Boot. „Ru, los.“ Sofort sprang der Querl über Bord und schoss auf den Schatten zu. Die Wasseroberfläche wurde ruhig. Krista biss sich auf die Lippe. Ein kleiner roter Tropfen Blut sammelte sich in ihrem Mundwinkel. Die Wasseroberfläche blieb wie ein Spiegel. Krista

lief an der Reling auf und ab, blieb stehen, wippte auf den Füßen, lief weiter.

Nichts!

Ein Jaulen. Krista drehte sich um und sah, wie Ru ins Boot flog und übers Deck schlitterte. Dabei stieß er ein jämmerliches Wimmern aus.

„Ru!“ Krista nahm ihren Querl in die Arme. Sie konnte keine Wunden entdecken. Aber sie hatte ihn noch nie so ängstlich gesehen. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie eine mit Schwimmhäuten überzogene Klaue die Reling ergriff. Krista zog ihren Dolch. Blitzartig bewegte sich ihr schlanker Körper auf die Hand zu. Der Dolch war kaum zu erkennen, als er auf die Hand niederfuhr – um mitten in der Luft stehen zu bleiben.

Die zweite Hand hatte mühelos Kristas Angriff gestoppt. Ihr folgte ein drei Meter großer, mit Schuppen überzogener, menschlicher Körper. Kristas freie Hand schoss auf die Augen der Kreatur zu, mit demselben Ergebnis wie vorher. Ihre Hand wurde mitten in der Luft gestoppt.

Ru hatte sich in die hinterste Ecke verkrochen.

Die Kreatur ließ sich auf ein Knie nieder und schaute Krista tief in die Augen. Dabei gab sie ein leises Knurren von sich. Krista atmete tief durch. Sie zitterte. Offensichtlich wollte das Geschöpf sie nicht verletzen. „Lass mich bitte los“, bat Krista mit sanfter Stimme. Die Kreatur legte den Kopf schief, als würde sie sich langsam an Worte erinnern. Der Druck auf Kristas rechte Hand ließ nach. „Die andere auch.“ Sie zeigte auf ihre linke Hand und blickte der Kreatur in die Augen. Da ließ es sie ganz los und rutschte ein Stück zurück. Ließ Krista aber nicht aus den Augen. Und dann lächelte es. Krista wich unwillkürlich zurück. Das Lächeln entblößte vier, zehn Zentimeter lange Reißzähne. Aber es war eindeutig ein Lächeln. Krista fing sich wieder. „Wer bist du? Wieso verstehst du mich?“

Vorsichtig berührte die Hand der Kreatur Kristas Gesicht. „Ich wurde als Mensch geboren, dann habe ich mich verändert.“

„Wieso  bist du auf mein Boot gekommen?“

„Du bist so schön. Ich habe seit Jahren keinen Menschen mehr gesehen und noch nie einen so schönen.“ Ein Kompliment von einem drei Meter großen, mit Reißzähnen und Klauen, ausgestattetem Ungeheuer, und doch wurde Krista rot. Sie lächelte und nahm die Pranke der Kreatur in ihre zarten Hände. „Setz dich zu mir, und erzähl mir mehr von dir.“ Als sie saßen wollte sich Ru anschleichen. Ein ohrenbetäubendes Knurren ließ ihn sofort wieder in der hintersten Ecke verschwinden. Beruhigend strich Kristas Hand über den Arm der Kreatur. „Bleib ruhig. Mein Querl will nur auf mich aufpassen.“

„Die Menschen der nächsten  Festung haben Rudel solcher Tiere auf mich gehetzt, um mich zu töten.“

„Es gibt hier Menschen?“

„Ja, zwei Festungen in einer Tagesreise. Aber es sind keine freundlichen Männer.“

„Männer?“

„Ja, vorwiegend.“

„Führ mich hin! Bitte.“

„Wenn du unbedingt willst.“ Die Worte kamen mehr geknurrt als gesprochen.

Doch Krista dachte: „Jetzt kann ich meinen Auftrag erfüllen.“ Dabei strich sie der Kreatur sanft über den Kopf.